Magischer Realismus


Magischer Realismus

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Der magische Realismus (spanisch realismo mágico) ist eine künstlerische Strömung, die seit den 1920er-Jahren vor allem im Gebiet der Malerei und der Literatur in einigen Ländern Europas sowie Nord- und Südamerikas vertreten ist. Aufgegriffen und weitergeführt wurde der magische Realismus später auch in den Bereichen Filmkunst und Fotografie.

Magischer Realismus in der Malerei[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Alexander Kanoldt, Stillleben II (1922)

Der magische Realismus stellt die Verschmelzung von realer Wirklichkeit (greifbar, sichtbar, rational) und magischer Realität (Halluzinationen, Träume) dar. Er ist eine „dritte Realität“, eine Synthese aus den uns geläufigen Wirklichkeiten. Der Übergang zum Surrealismus ist fließend.

Bedeutung und Abgrenzung zu anderen Stilen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff wurde erstmals 1925 vom Kunstkritiker Franz Roh in seinem Buch Nach-Expressionismus: Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Malerei. verwendet.[1] Er bezeichnete einen postexpressionistischen Malstil von Bildern in der von Gustav Hartlaub bereits für 1923 geplanten Ausstellung Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus, die vom 14. Juni bis zum 18. September 1925 in der Kunsthalle Mannheim gezeigt wurde. Der Begriff „Magischer Realismus“ wurde anfangs noch konkurrierend zu dem Terminus Neue Sachlichkeit verwendet und wird heute in seinem ursprünglichen Sinne neben dem Verismus und Klassizismus als eine dritte Richtung mit surrealistischen Anklängen der neuen gegenständlichen Malerei der Weimarer Republik angesehen.[2] Während die Bewegung der Neuen Sachlichkeit mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der nachfolgenden Gleichschaltung der Medien und der Kultur endete, etablierte sich der Magische Realismus in den 1930er-, 1940er- und 1950er-Jahren als eigenständige Strömung in ganz Europa und in Amerika.[3]

Nach dem Erscheinen von Rohs Text in der spanischen Zeitschrift Revista de Occidente 1927 fand der Begriff bald Einzug in die Intellektuellenkreise von Buenos Aires und wurde nach heftigen Diskussionen in den 1960er- bis 90er-Jahren auch auf Teile der lateinamerikanischen Literatur angewandt.[4]

Vertreter der Malerei[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Deutschland:

Österreich:

Schweiz:

Niederlande (zu besichtigen u.a. in den Museen von Arnheim und Gorssel):

Belgien:

Italien:

USA:

Magischer Realismus in der Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez (2002)

Der magische Realismus als literarische Form taucht Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Italien und im Flämischen auf und hat mit dem Umweg über Paris und Spanien schnell einen großen Einfluss auf die Literatur in Lateinamerika. Auf die lateinamerikanische Literatur wurde der Begriff erstmals 1948 von dem Venezolaner Arturo Uslar Pietri angewendet. Als eigentlicher Vater des magisch-realistischen Stils in Lateinamerika wird Miguel Ángel Asturias mit seinem Roman Hombres de maíz (Die Maismenschen) aus dem Jahre 1949 angesehen. In diesem Werk werden indigene Mythen (hier der Maya) mit der Wirklichkeit, Kultur und Geschichte Lateinamerikas aus der Sicht der indigenen Bevölkerung erzählt. Diese magische Wirklichkeitsauffassung führt dazu, dass die Legende die Begründung des Geschehenen als Reaktion auf die Unterdrückung der Indigenen durch die Weißen darstellt. Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez (Literaturnobelpreisträger von 1982) gilt ebenfalls als eines der wichtigsten Werke des magischen Realismus.

Mit dem Vorwort zu seinem Roman El reino de este mundo verfasste Alejo Carpentier sozusagen ein Manifest des magischen Realismus. Er grenzt dabei Lateinamerika stark von Europa ab. Nach ihm ist „dem Europäer“ die Fähigkeit des Erlebens des wunderbar Wirklichen durch die Aufklärung verloren gegangen, während Mythen- und Geisterglaube in Lateinamerika noch immer natürlich im Alltag integriert sind. Laut Carpentier ist der magische Realismus natürlich, nicht erzwungen; er ist die Einbettung des Wunderbaren in den Alltag.

Der magische Realismus vermischt die Grenzen zwischen Realität und Phantasie. Volkskultur, Mythologie, Religion, Geschichte und Geographie verschmelzen in den Texten und sind immer erkennbar. Er kombiniert zwei Konzepte, die in den Industrienationen als gegensätzlich gelten: Realität und Mythologie/Phantasie/Magie – doch der Gedanke ist, dass diese beiden im Sinne eines Balanceakts sehr wohl nebeneinander existieren können und nicht zwangsweise im Konflikt stehen. Gegenstück des magischen Realismus ist der realismo social oder soziale Realismus.

Abgrenzung zu anderen Stilen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Magischer Realismus ist eine Untergattung der Phantastik und einige Autoren sehen zudem enge Übereinstimmungen zwischen magischem Realismus und (der nicht mit der Phantastik zu verwechselnden) Fantasy. In einem Interview definierte Gene Wolfe den magischen Realismus folgendermaßen: „Magischer Realismus ist von spanischsprachigen Menschen geschriebene Fantasy.“ (“Magic realism is fantasy written by people who speak Spanish.")[5] Laut Terry Pratchett ist es „eine höfliche Art zu sagen, man schriebe Fantasy“ (“a polite way of saying you write fantasy") und „für manche Menschen akzeptabler“ (“more acceptable to certain people"), sich als Autor dem magischen Realismus anstelle der Fantasy zuzuordnen.[6]

Alejo Carpentier sieht einen Gegensatz des magischen Realismus zu europäischen Stilen wie dem Surrealismus, der nach Carpentier das Wunderbare künstlich erzeugen muss. Dagegen sei der magische Realismus in Lateinamerika Alltag und zeige sich in spezieller Weise in der Integration des Wunders im täglichen Leben (z.B. Göttermythen).

Vertreter in der Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im deutschsprachigen Raum:

Im sonstigen Europa:

In den USA:

In Kanada:

In Lateinamerika:

In Asien:

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Franz Roh: Nach-Expressionismus. Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Malerei. Klinkhardt & Biermann, Leipzig 1925.
  • Franz Roh: Geschichte der deutschen Kunst von 1900 bis zur Gegenwart. F. Bruckmann, München 1958.
  • Michael Scheffel: Magischer Realismus. Die Geschichte eines Begriffes und ein Versuch seiner Bestimmung (= Stauffenburg-Colloquium. Bd. 16). Stauffenburg, Tübingen 1990, ISBN 3-923721-46-3 (Zugleich: Göttingen, Univ., Diss., 1988).
  • Andreas Fluck: „Magischer Realismus“ in der Malerei des 20. Jahrhunderts (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 28: Kunstgeschichte. Bd. 197). Lang, Frankfurt am Main u. a. 1994, ISBN 3-631-47100-9 (Zugleich: Münster, Univ., Diss., 1992).
  • Reeds, Kenneth: Magical Realism: A problem of definition. In: Neophilologus 90(2), London 2006, S.175–196.
  • Durst, Uwe: "Begrenzte und entgrenzte wunderbare Systeme: Vom Bürgerlichen zum 'Magischen' Realismus", in: Lars Schmeink / Hans-Harald Müller (Hg.), "Fremde Welten: Wege und Räume der Fantastik im 21. Jahrhundert", Berlin / Boston 2012, S. 57–74.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Hochspringen Franz Roh: Nach-Expressionismus: Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Malerei. Klinkhardt & Biermann, Leipzig 1925.
  2. Hochspringen Stefanie Gommel: Neue Sachlichkeit.
    In: Kunstlexikon, Hatje Cantz Verlag. 30.Januar 2013, abgerufen am 22.April 2015.
  3. Hochspringen What is Magic Realism Art
    , abgerufen am 22. März 2015
  4. Hochspringen Kenneth Reeds: Magical Realism: A problem of definition. In: Neophilologus, Jg. 90 (2006), Nr. 2, S. 179.
  5. Hochspringen Gene Wolfe, Brendan Barber: Gene Wolfe Interview. In: Peter Wright (Hrsg.): Shadows of the New Sun. Wolfe on Writing, Writers on Wolfe. Liverpool University Press, Liverpool 2007, S. 132 (online
    ).
  6. Hochspringen Linda Richards: January Interview: Terry Pratchett
    .
    In: January Magazine, 2002. Abgerufen am 24. Juni 2010.